
Januar 10, 2025
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Befreit die Prozesse aus ihren Silos!
Wie engagierte Mitarbeiter scheitern, weil sie nicht gelernt haben, in’s Nachbarsilo zu schauen.
Kai Dettmann berichtet in diesem Transkript einer im Workshop vorgetragenen Anekdote von einem engagierten Mitarbeiter, dessen Verbesserungs-Initiative wegen fehlenden Prozess-Know-Hows im Unternehmen ins Leere geht.
Das Beispiel zeigt nicht nur, was schief geht und warum. Es zeigt auch, wie leicht es wäre, diese Fehler zu vermeiden und die Ideen der Mitarbeiter für die ganze Unternehmung zu nutzen.

Das Dreibein
Ein Bericht aus dem Silo.
Letzte Woche war ich auf einer Baustelle und habe mir eine Inliner-Sanierung eines Abwasserkanals angeschaut.
Wir kamen der Baustelle an und was sahen wir? Ein Mitarbeiter des Dienstleisters stand breitbeinig mitten auf der Straße über dem Abwasserschacht und guckte hinunter. Kein Dreibein! Keine Absturzsicherung! Wenigstens hatte er eine Arbeitsjacke an.
„Na super, das geht ja schon gut los.“, denke ich. „Da muss ich mir direkt Freunde machen – der Geschäftsführer kommt und hat auch sofort was zu moppern.“
Ich frage meinen Baustellen-Koordinator noch im Auto: „Sprichst du das an, oder ich?“
Er sagt: „Ja nee, ich spreche das an.“
Ich sage: „Alles klar“.
Und er spricht den Kollegen an: „Hier! Fehlendes Dreibein, keine Absturzsicherung, das geht gar nicht. Ab, raus mit dem Kollegen aus dem Schacht, Sachen holen und wieder rein.“
Dann zog mein Kollege einen Zettel aus der Tasche, zeigte ihn mir und sagte: „Ich habe hier auch so einen Qualitäts-Sicherheits-Bericht.“
Ich sag: „Das find ich ja super. Und wie läuft das jetzt?“
Er: „Da trage ich nachher ein, welche Mängel wir gefunden haben und so weiter.“
Das war es für den Moment. Es gab anderes zu tun und es waren auch zu viele Leute drum herum, um dieses Gespräch weiter zu führen.
Wir besichtigen die Baustelle. Irgendwann packen wir ein und fahren zurück zur Zentrale; auf dem Rückweg frage ich: „Ja, und was ist jetzt mit dem Qualitäts-Sicherheits-Bericht?“
Er: „Ach so, ja! Den fülle ich jetzt gleich noch aus.“
Ich: „Also ich kenn das nur so, dass man das mit dem Kolonnenleiter vor Ort dokumentiert und sagt: „Hier, das fehlte, das fehlte“. Uns sind vielleicht noch zwei, drei andere Sachen aufgefallen und dann wird das gegenseitig vor Ort unterschrieben, nämlich auch vom Kolonnenführer.“
„Nene, also wir machen das schon immer so.“
Ich frage: „Wer ist jetzt ‚wir‘?“
Er; „Ja also, das haben ein Kollege und ich, die für die Baustellenbeauftragung der Inliner-Sanierung zuständig sind, uns überlegt und diesen Zettel gemacht.“
Ich frage: „Und die anderen Baustellen-Beauftragten bei uns im Haus, die auch rausfahren, wie dokumentieren die das?“
Er: „Ja, das weiß ich nicht.“
Ich: „Ja, ok, gut. Ist ja auch nicht deine Aufgabe.“
Was ist hier los? Der Kollege hat eine Lösung für SEIN Problem gesucht und gefunden. Er sitzt in seinem Baustellen-Beauftragten-Silo und guckt nicht in die anderen Zimmer. Er hat SEINE Lösung. Vielleicht können die anderen sie ja auch nutzen? Er weiß es nicht und fragt auch nicht nach. Den Zettel benutzen nur er und der Kollege, mit dem er ihn entwickelt hat. Das war das erste.
Das zweite war: „Ja, was passiert denn jetzt mit dem Zettel?“
Er: „Ja, da trage ich jetzt alles ein und dann wird der eingescannt und wird dann im System an das Projekt drangehangen.“
Ich denke: „Aha, ein handschriftlicher Zettel, eingescannt, nicht maschinell auslesbar, irgendwo einem Projekt angehangen. Das heißt, ich kann am Ende des Jahres nicht auf diesen berühmten Knopf drücken, vom dem ihr ja alle wahrscheinlich schonmal gehört habt, und dann eine Auswertung bekomme: Firma X: 30 mal kontrolliert, 27 mal auffällig. Das wäre dann ja Anlass zum Gespräch. Aber das gibt es nicht. Das wird auch dem Einkauf nicht zur Verfügung gestellt, der das ja auch brauchen könnte.“
Wenn ich den Kollegen frage, sagt er mir „Der Zettel ist super“. Woran liegt das? Er denkt nur in seinem Silo End-to-End. Er blickt ausschließlich auf seinen Bereich. Den hat er zuverlässig im Griff. Er sucht sich die Baustellen raus, er koordiniert die Firmen, er fährt raus, macht einen Qualitäts-Sicherheits-Bericht, macht die Abnahme. Er macht also dieses komplette Produkt für sich allein, hat aber nicht im Fokus, was damit noch gemacht werden kann.
Und was passiert mit dem Bericht? Der versauert auf gut Deutsch. Das ist Datenmüll. Das ist schön gedacht, aber scheiße umgesetzt. Das kann ich dem jetzt aber so nicht sagen, dann ist der direkt sauer. Zurecht, weil er sich ja Gedanken gemacht und eine Lösung erarbeitet hat. Er hat sich ja wirklich überlegt „Was muss ich eigentlich machen, um das zu dokumentieren?“ und hat ein Formular erstellt.
Von der Theorie her super, aber halt leider nicht zu Ende gedacht. Nämlich zu Ende gedacht über das eigene Silo hinaus. Dann wäre das Formular automatisiert auswertbar, über alle Firmen und Abteilungen hinweg einheitlich, von mir aus sogar eine App, so dass man das direkt vor Ort ausfüllen und vom Kolonnenführer unterschreiben lassen kann. Das ist doch besser, als wenn ich dem irgendwann dem Unternehmer einen Zettel hinreiche und sage „Hier, das hat übrigens ein Kollege ausgefüllt vor drei Monaten, deine Baustelle blablabla…“. Dann fragt der „Wieso sagst du mir das jetzt erst?“ Und dann wird es hakelig! „Habt ihr das vor Ort angesprochen?“ – „Was hat der Kolonnenführer dazu gesagt?“ Ganz schön viel Gerede für einen Zettel, der dann im Nirgendwo verschwindet.
Deswegen: Bitte versucht nicht nur in eurem Bereich End-to-End zu denken. Öffnet euer Silo zu den Prozess-Nachbarn. Wer ist in der Kette vor euch, wer hinter euch? Wozu ist das alles gut? Warum machen wir das überhaupt? Wenn ihr das macht, verschimmeln eure guten Ideen nicht auf irgendeiner Festplatte. Dann machen sie das Leben leichter – für euch und eure Kollegen. Und in unserem Fall werden auch die Baustellen sicherer – denn wie soll ein QS-Bericht, den nie jemand liest oder auswertet, zu einer Verhaltensänderung und damit zu mehr Sicherheit auf der Baustelle führen?
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